Die Bildobjekte von Thomas Robbers irritieren den Betrachter: Zum einen erscheinen sie bekannt: Aus dem riesigen Bilderreservoir, das mehr unbewusst als bewusst in der Erinnerung gespeichert ist,
blitzen Assoziationen hervor. Zum Beispiel erinnert die »Raupe« an eine immens vergrößerte Ansicht der Unterseite eines Insekts; auch der »Stier« weist Umrisse auf, die, wenn man etwas weiter von dem
Bild entfernt steht, an einen Stierkopf in frontaler Ansicht denken lassen. Geht man allerdings näher auf die Bilder zu, ist man verunsichert, denn die Farben und Formen zeigen Elemente, die mit dem
ursprünglichen, dem assoziierten Bild kaum etwas gemein haben. So erscheint der »Adler« nicht wie ein majestätischer König der Lüfte, sondern vielmehr wie ein auf einen Draht aufgespanntes Blatt, das
zudem mit einem Netz kleinerer Drähte überzogen ist. Sind unter dieser Perspektive die kleineren Drähte additiver oder ursprünglicher Bestandteil des Objektes und will uns der Künstler mit dem Titel
nur auf eine falsche Fährte locken?
Man ist irritiert und überlegt. Eine andere Assoziationskette aus dem Bilderreservoir unserer Erinnerung drängt sich auf: Ähnliche Figuren könnte man schon einmal in einem Science-Fiction-Film
gesehen haben - oder genauer: Sie könnten einem Science-Fiction-Computer-Spiel entstammen.
Und mit diesem Zugang kommen wir dem Gestaltungsprinzip sehr nahe; denn das, was auf den Bildträgern als Formen- und Farbenstruktur erscheint, ist digitaler Natur.
Thomas Robbers irritiert den flüchtigen Blick, den Blick, den wir im Alltag benötigen, um schnell etwas zu »erkennen«, es einzuschätzen, es zu bewerten und nach der Einschätzung unsere Handlung darauf abzustimmen. Ist das, was wir auf diese Weise sehen, bekannt und wird es als gefahrlos angesehen, können wir beruhigt zum nächsten flüchtigen Blick übergehen. Die Bildobjekte von Thomas Robbers lassen diesen flüchtigen Blick nicht zu, sie sind nicht einfach assoziativ einzuschätzen.
Was man assoziativ erkennt, sind z.B. die gestickten Bordüren, wie sie beim Objekt »Geweih« oder beim Objekt »Magen« in das Bild eingearbeitet sind; bei letzterem ist deutlich auch ein
Reißverschluss auszumachen. Es sind Gegenstände, die der Alltagswelt entstammen, hier allerdings in einen irritierenden, neuen Zusammenhang gestellt.
Thomas Robbers sagt, dass er schon als junger Student in seinen künstlerischen Anfangsjahren von Max Ernst begeistert war. Max Ernst führte vor ca. 80 Jahren mit seinen Collagen die Betrachter in
eine unsichere Welt zwischen Alltag, Traum, Virtualität und Assoziation. Es war das »zufällige Zusammentreffen von Objekten in ungewöhnlichen Situationen«, mit der dieser Avantgardekünstler uns auf
eine Welt aufmerksam machen wollte, die hinter dem vermeintlich eindeutigen Oberflächenaspekt liegt. Hier kann man einen Anknüpfungspunkt finden: Wenn Max Ernst z.B. für die Kunst das damalige neue
Medium des Fotos (und später auch des Films) nutzbar machte, so arbeitet Thomas Robbers auch mit »Neuen Medien«; allerdings benutzt Thomas Robbers für seine Arbeiten die digitale Technik der
Bildgenerierung. Hier liegt ein grundsätzlicher Unterschied. Ist bei Max Ernst sowohl das gefundene Objekt wie die Gestaltung der verschiedenen Objekte, Farben, Formen analog und sieht man diese
analoge Technik jeweils auch deutlich in den Werken, so sind vielleicht noch die gefundenen Objekte bei Thomas Robbers analoger Natur, die Bildschaffung, die Bildgenerierung geschieht allerdings
komplett digital. Erst in der Präsentation der Kunstwerke in Form von aufkaschierten Fotodrucken werden die Objekte wieder analog.
Mit der digitalen Bildgenerierung setzt Thomas Robbers bei einem zentralen Punkt unseres Bildverständnisses an. In einem alltagsweltlichen Verständnis vom Sehen werden Bilder allgemein wie Abbildungen der Wirklichkeit aufgenommen. Von einem reflektierten Standpunkt aus ist dies allerdings zu verkürzt. Bilder sind nicht die Eins-zu-eins-Abbildungen der uns umgebenden Welt, sondern Bilder, so hat die neuere Kognitionswissenschaft aufs Neue belegt, werden im Kopf generiert. Sie sind eine Konstruktion-übrigens ist dies keine Erkenntniserrungenschaft der jüngsten Zeit, auch hier wenn mit der Kognitionswissenschaft eine hochaktuelle Disziplin angeführt wird, sondern diese Annahme findet sich schon in der Philosophie des berühmten griechischen Sophisten Protagoras, der im 5. vorchristlichen Jahrhundert (von ca. 481 bis um 411 v. Chr.) lebte. Für die Sophisten war die Wahrnehmung des Menschen nicht objektiv, sondern vielmehr ausgesprochen subjektiv. Eine objektive Erkenntnis von Wirklichkeit ist nach ihrer Philosophie nicht möglich, denn Wahrnehmung, so konnten sie beobachten und belegen, führt bei verschiedenen Menschen zu verschiedenen Ergebnissen. Das, was als Erkenntnis von Wirklichkeit angenommen wird, ist lediglich eine Näherungslösung. Die wahrgenommene Umwelt erhält ihre Einschätzung aufgrund des sozialen Lernens der Menschen. Durch ihre Kultur werden diese Einschätzungen gewertet und verinnerlicht und jeweils durch die alltägliche Lebenspraxis präzisiert. Eine objektive Erkenntnis von Wirklichkeit ist dies allerdings nicht. In der Uneindeutigkeit und Uneinsichtigkeit unserer heutigen Welt bekommt die fast 2500 Jahre alte griechische Philosophie wieder eine erneute Relevanz - die aktuelle Kognitionswissenschaft findet hier ihre philosophischen Wurzeln.
Die Uneindeutigkeit des gesehenen Bildes aufzunehmen und uns hinter die augenfällige Erscheinung zu führen, hat sich Thomas Robbers vorgenommen. Seine Bildobjekte reduzieren Tiefenperspektiven auf eine grafische Oberfläche - und doch haben seine Bildobjekte eine tiefenräumliche Ausdehnung. Zum einen werden diese tiefenräumlichen Staffelungen durch die Einarbeitung der schon angesprochenen Alltagsfundstücke, der Spitzenbordüren, der Reißverschlüsse, der Drähte gewährleistet. Auch Farbenperspektiven, Schattenführungen, Lichter und Tonwerttiefen geben der Darstellung eine dimensionale Tiefe. Aber wenn wir uns den Bildern nähern, so wird nicht das Verhältnis Vordergrund / Hintergrund thematisiert, sondern das Objekt selbst ist das Thema. Und hier liegt der zentrale Dreh- und Angelpunkt der Arbeiten von Thomas Robbers: Es geht nicht darum, die Umwelt »nachzubauen«, sondern vielmehr ihre vorhandenen Strukturen aufzudecken.
Thomas Robbers ist ein Strukteur.
Die Suche und das Finden von Objekten ist bei ihm das Ersehen von Strukturen, die er in ihnen erkennt. In der dann anschließenden zufällig-reflektierten Anordnung und Form-Farben-Gestaltung,
arbeitet er diese hervor, strukturiert sie um, macht sie bewusst, stellt neue Zusammenhänge dar.
Praktisch ist dies eine Reise vom Makrokosmos, also dem Kosmos, dem die Objekte in ihrer früheren Form, Gestalt und Farbe angehörten, in den Mikrokosmos der Datenoberfläche. Die Objekte werden
digitalisiert und dann von ihm auf einer Ebene weiter bearbeitet, auf der aufgrund der Vergrößerung kaum - oder besser gesagt - gar nichts mehr Konkretes vom ursprünglichen Objekt zu erkennen ist.
Strukturen bilden sich heraus, werden generiert, es geht nicht um Abbilden, sondern um das Bilden von Strukturen. Denn die Objekte selbst haben diese Strukturen nicht, sondern sie werden ihnen durch
unseren Wahrnehmungsprozess beigegeben. Die Strukturen, die wir Menschen in der uns umgebenden Welt sehen, sind z.B. anderer Natur als die, die von Fledermäusen erkannt werden. Wir Menschen sehen
andere Farbspektren als Tiefseebewohner - die Reihe unserer subjektiven und nicht objektiven »Strukturerkenntnis« ließe sich noch viel weiter fortsetzen...
Wahrnehmung zeigt sich unter dieser Perspektive als Strukturierung.
Thomas Robbers thematisiert diesen Prozess der Strukturierung, indem er ihn bewusst macht, ihn aufdeckt, ihn bildhaft macht. Der gesamte Prozess der Bildgenerierung kann als ein
Prozess der Strukturierung beschrieben werden. Die Objekte werden von ihm in eine Bildform gebracht, in der nicht nur sie neu wahrnehmbar werden, sondern vielmehr und insbesondere
der Prozess der Strukturierung selbst, den wir im Sehen vornehmen. Die mediale Form, mit der Thomas Robbers dies sinnfällig macht, ist die eines Bildes. Aber:
Thomas Robbers, der Strukteur, malt nicht mit Farben, sondern mit Datenmengen.
Auf der Ebene des Digitalen sind die Formen zwar auch durch Farben unterscheidbar, doch ihre Oberfläche ist plan und ihre Außenform ist im Endeffekt ein winziges Rechteck, ein Pixel. Die Menge der
Pixel, ihrer Farbinformationen und ihrer Zuordnung ergibt die Menge an Daten, mit denen die Bilder digital generiert werden. Der Ausgangspunkt ist das analoge, gefundene Objekt; die weitere
Bearbeitung geschieht in größter Abstraktion. Denn aufgrund der hohen Vergrößerung, mit der Thomas Robbers arbeitet, lassen sich die unterscheidbaren Farbflächen der Pixel nicht als begriffliche
Gegenstände erkennen - sie werden zum assoziierenden Bild erst durch die Strukturierung, die Thomas Robbers ihnen beigibt. Es ist ein Kommunikations-Schaffens-Prozess, der zu dem
Bild-Objekt führt.
Zwischen dem sich auf dem Bildschirm des Rechners ergebenden Bild und dem Strukturierungsbild, welches der Künstler »im Kopf« hat und auf das Bildschirmbild anwendet, wird von Thomas Robbers zudem
der Faktor des Zufälligen als konstituierend eingewoben. Einzelne Bildteile, auf der digitalen Pixelebene weit abstrahiert von einer konkreten Begrifflichkeit, werden neu bearbeitet, neu gestaltet,
in neue Beziehungen zueinander gesetzt. Der Künstler kann auf dieser Ebene eigentlich nicht sehen, vielleicht hoffen und erwarten, was sich im ausgezoomten Zustand - d.h. in der tatsächlichen
Ausgabegröße - als Bild zeigt.
Irgendwann beschließt der Künstler, dass das Bildobjekt nun präsentabel ist. Das heißt nicht, dass es fertig ist, es hat nur genügend Spannungen, Assoziationsmöglichkeiten, Frag-Würdigkeiten, dass es
in den nächsten Schritt des Kommunikations-Schaffens-Prozesses überführt werden kann.
Und dieser Schritt liegt beim Betrachter, denn diesem überlässt der Künstler nun sein Bildobjekt zur weiteren Reflektion. Die Bildobjekte haben nun den Status von Katalysatoren. Es geht nicht mehr
um das, was der Künstler in seinen Bildern sieht, sondern vielmehr darum, welche der Strukturierungsangebote und der Reflektionsmöglichkeiten, die der Künstler gemacht hat, nun von der Betrachterin
oder dem Betrachter aufgenommen und weitergeführt werden.
Es ist ein Blick hinter die Oberfläche dessen, was auf den ersten Blick wahrnehmbar ist, den Thomas Robbers bildhaft ermöglicht.
Thomas Robbers führt uns vor Augen: Wir (als Betrachter) machen uns ein Bild - und: wir machen es uns. Diese Unterscheidung trägt eine enorme Brisanz in sich:
Das, was wir sehen, ist kein Abbild von Wirklichkeit - und zwar prinzipiell nicht - sondern lediglich eine Konstruktion. Vermittels seiner Bilder können wir erkennen, was
»reflektierendes Erkennen« heißt, nämlich eine Erkenntnisleistung. Und die ist abstrakt und strukturierend.
Thomas Robbers, der Strukteur, weist uns Wege dorthin.
Prof. Dr. Alarich Rooch