Corrida

Vor einiger Zeit stieß ich in den Untiefen meiner Festplatte auf eine Reihe von Digitalfotos, die ich vor einigen Jahren während einer Corrida im spanischen Valderrobres aufgenommen hatte. Wie viele Touristen hatte ich mich auf der Suche nach dem vermeintlich traditionell-Ursprünglichen in die örtliche Arena locken lassen. Zunächst stark beeindruckt von dem feinen, jahrhundertealten Ritual, der förmlichen Zeremonie, der lauten, bunten Atmosphäre und dem Geschick der Reiter und Pferde war ich zunehmend geschockt von dem schonungslosen Zermürben und Abschlachten der Kampfstiere. Mit Befremden beobachtete ich die scheinbare Gleichgültigkeit der Zuschauer gegenüber dem Schicksal der Stiere, die nach dem Kampf wie Abfall aus der Arena geschafft wurden, während der rejoneador (Stierkämpfer zu Pferde) die Huldigung des Publikums genoss und die abgeschnittenen Stierohren als Trophäe den Lokalschönheiten zuwarf. Mir erging es an diesem Nachmittag nicht anders als vielen ausländischen Besuchern: das systematische Entkräften der Stiere, das viele Blut, der ritualisierte, augenscheinliche Tod – das alles ist uns als Formfleisch-verwöhnte Europäer zutiefst zuwider.

Ein Großteil der Spanier - in erster Linie die junge Generation - lehnt den Stierkampf in seiner jetzigen Form ab. Ab 2012 werden Stierkämpfe in Katalonien verboten sein - in Barcelona wird die letzte von drei Arenen geschlossen werden. Aber die Befürworter und aficionados (Stierkampfliebhaber und -kenner) protestieren laut und führen vielschichtige - darunter teilweise abstruse - Argumente ins Feld. Unsere Abneigung gegenüber dem modernen Stierkampf ist offensichtlich. Warum?

Wir können das alt-ehrwürdige Ritual, den streng-reglementieren Ablauf aus Unwissenheit nicht erkennen geschweige denn würdigen. Warum sticht uns das Bluten und Leiden des Stiers mehr ins Auge als die vermeintlich eleganten und kunstvollen Manöver des Matadors? Warum hindert uns unser Entsetzen daran, den Stierkampf als Kunstform zu ästhetisieren und als nationales Kulturerbe zu akzeptieren? – Fragen, die mich dazu gebracht haben, mich über Bild und Literatur mehr mit dem Stierkampf zu beschäftigen und Antworten zu finden.
Viel erfährt man in Hemingways »Tod am Nachmittag«. Der amerikanische Schriftsteller, der sich selbst mehr oder weniger erfolgreich als Stierkämpfer versucht hat, erklärt mit viel Sachkenntnis Ablauf und Fachbegriffe, erhebt den Stierkampf als Kunstform, als Choreographie des Tötens, feiert den versierten, ehrlichen Stierkämpfer als Künstler seines Faches, beschimpft den »feigen« Matador als mogelnde Memme, bedauert die geschundenen Pferde und preist den toro in seiner Stärke, Tapferkeit und Kraft. Aber kann man dieses blutige Ritual legitimieren, in dem es in seiner Gesamtheit als Kunstform deklariert und in der derzeitigen Kontroverse ein Verbot als verfassungsrechtliche Einschränkung der Kunstfreiheit anprangert und sogar als immaterielles Weltkulturerbe schützen will?

»Warum dann diese Arbeiten, die über bildnerische Mittel dieses Thema ebenfalls formal-ästhetisch aufladen?«, fragt sich der kritische Leser. Grundlage der Arbeiten sind Fotos, »geschossen« im Augenblick des Geschehens, aus dem klammheimlichen Vergnügen am »Betrachten des Leidens anderer« (Sontag) heraus, aus Gier nach dem außergewöhnlichen Bild, scheinbar unbeteiligt hinter dem Sucher als Distanzwaffe. Das Foto verbirgt eine andere Wirklichkeit: Ereignisse, in ihrer Schnelligkeit kaum wahrnehmbar und Details, erst in der Vergrößerung erkennbar, lassen das Gesehene oft in einem anderen Licht erscheinen. Der digital-malerische Neuaufbau zwingt zum genauen Betrachten, zum »Lesen« statt oberflächigen »Scannen« des Fotos und stets postulierten Sehen. Aber was nützt Letzteres ohne Erkenntnis? Das scheinbar objektiv-mechanisch Gesehene und dessen Neukonstruktion wirft Fragen auf, macht neugierig und weckt Interesse an den Vorgängen und den Motiven hinter dem Abgebildeten.

Der feierlich- festliche Ritus des Stierkampfes wird von vielen nicht hinterfragt, das Klischee des »ehrbaren, tapferen Kampfes zwischen Tier und Mensch« bedient. Vielleicht verwehrt das Ritual durch seine im Spanischen tief verwurzelte und nicht hinterfragte Tradition den kritischen Blick auf das sinnentleerte und überholte Handeln. Aber diese Sichtweise teilen wir als Aussenstehende nicht und sind wohl deshalb eher bereit, die corrida als brutale Tierquälerei zu verurteilen und ihre Abschaffung zu fordern.

Aber über allem schwebt der fade Geruch der Doppelmoral. Auf der einen Seite stehen die Züchter, Veranstalter und Konzessionsgeber, die unter dem Vorwand des Verlustes nationaler Identität den Stierkampf wegen rein wirtschaftlichen Interessen erhalten wollen. Das Stierkampfverbot in Katalonien ist eher als Retourkutsche in Richtung Madrid zu verstehen aufgrund der umstrittenen Nationaldebatte. Und wir geniessen weiterhin unser tägliches Schnitzel, billig eingekauft, in Massenhaltung produziert, durch halb Europa gekarrt ... .


Thomas Robbers



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